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HOBBY

HEITERES

Unser Laube - August Laube von Laubenfels

 

Laube im Dienst

 

Auf einer vergilbten Visitenkarte – nur seine engsten Freunde haben sie erhalten – stand: „August Laube von Laubenfels“.

Er war wohl einer der skurrilsten Persönlichkeiten, die mir im Leben begegnet sind. Es war an einem bedeutungsvollen Tag und ich als frischgebackener Lehrer aufgeregt und im bestem Anzug die Schule betrat, der ich zum Dienst zugewiesen war, um mich dem Direktor vorzustellen.

Am Gang lief mir eine etwas eigenartige Gestalt entgegen: unrasiert, auffällig nachlässig gekleidet, als Außenhülle ein Arbeitsmantel, der vor langer Zeit einmal weiß gewesen sein muss. „Kann das der Schulwart sein?“, dachte ich. Ich grüßte und fragte nach der Kanzlei des Direktors. Darauf kommt mir freudig strahlend die Antwort: „Ah, sei san der Neue, Laube mein Name. Servas, kannst glei du zu mir sogn.“ Hilfsbereit führt er mich gleich zum Direktor.

Das war also der Laube. Von seiner äußeren Erscheinung musste jeder Außenstehende oder Fremde, gelinde gesagt, eigenartig berührt, wenn nicht abgeschreckt sein. Und doch war er, nimmt man alles in allem, ein guter und vielseitig befähigter Lehrer. Die englische Sprache beherrschte er perfekt in Wort und Schrift. Er hatte sämtliche Lehrbefähigungsprüfungen, ausgenommen Religion. „Unser Laube“ nannten ihn ganze Schülergenerationen in Graz-Eggenberg, wenn sie unter sich waren. Er bestand allerdings strickt darauf, von jedem Schüler mit „Sir“ angesprochen zu werden. Auch im Kollegenkreis war er außerordentlich beliebt und geschätzt.

Da er den ganzen Morgen bis 14:30 Uhr in der Algersdorfer Schule (damals Hasnerschule) verbrachte, war er natürlich stets bereit die anfallenden Sonderaufgaben der Lehrer, die in seinen Jahren nicht bezahlt wurden, zu übernehmen. Dies vollzog sich stets im gleichen Ritus.

Es ist Lehrerkonferenz. Der Direktor fragt: „Wer übernimmt in diesem Jahr die Schulmilchaktion?“ Laube: „Laube!“ „… das Jugendrotkreuz?“ Laube: „Laube!“ „… die Schülerbücherei?“ Laube: „Laube!“ Jedem, der einen Schulbetrieb kennt, ist klar, dass er schon aus diesem Grund sich einer besonderen Wertschätzung bei der Lehrerschaft erfreute.

Dazu kam sein Auftreten. Ein echter Kavalier alt-österreichischer Schule, wobei man aber nie wusste, ob er es ernst meinte oder sich nur lustig machte. Immer war er fröhlich und wusste immer neue Witze, wobei er die erotischen Pointen so recht genüsslich auf der Zunge zergehen ließ. Einer Kollegin, die sich dagegen verwahren wollte, bot er allerdings freundlich und entschieden an, sie solle sich auf den Gang begeben, wenn er Witze erzähle. Sie tat es aber nicht.

An sein Äußeres musste man sich gewöhnen. Er trug stets alte, abgetragene Kleider. Da er, wie er sagte, keinem Handwerker etwas verdienen lassen wollte, reparierte er alles selber, sogar seine Schuhe. Über den Kleidern trug er einen Arbeitsmantel, der nur zu Schulbeginn weiß war. Als ihm eine gutmütige Kollegin eine Freude machen wollte und seinen Mantel übers Wochenende heimlich gewaschen hatte, war er tödlich beleidigt. Die spärlichen Haare schnitt er sich selber und die Rasur erfolgte mit Rasierklingen, die die Schüler zum Bleistiftspitzen verwendet hatten.

 

Er lebte allein. Keine Frau hätte es neben ihm ausgehalten. Ein riesengroßes Dachzimmer war sein Domizil, das seine eigenen Freunde zu betreten die Erlaubnis hatten. Ich gehörte auch dazu. Er rauchte nicht, er trank nicht. Er ernährte sich fast kostenfrei mit den Resten der Schulmilch, die er in einem Lehrmittelkabinett aufbewahrte und den Broten oder sonstigen Jausenresten, die die Schüler in den Bänken zurück ließen.

Jeden Schultag verurteilte er einige Schüler zu einer Stunde Schulhaft, wobei er sicher nicht immer die richtigen erwischte. Diese mussten dann nach Schulschluss alle Papierreste einsammeln und in seine Wohnung bringen.

Er war immer kerngesund und fehlte durch all die Jahre keinen einzigen Tag. Restlos imponierte er nicht nur den Schülern, wenn er im Turnsaal auftauchte, seinen Mantel ablegte und ohne Hilfe der Beine die Seile hochkletterte.

Eines Tages musste er sich, was nur wenigen Menschen im Alter erspart bleibt, die letzten Zähne reißen lassen. Er ließ dies in der schulfreien Zeit durchführen und erschien dann zahnlos am nächsten Tag in der Schule. Naturgemäß bereitete ihm dies einige Schwierigkeiten beim Sprechen. Doch kann ich mich nicht daran erinnern, dass weder Lehrer noch Schüler ihn deshalb belächelten oder es zum Lachen fanden.

Einige Wochen später, biss er sich, wohl bedingt durch seine eigenartige Ernährung, einen Schneidezahn in seiner Prothese aus. Lange Zeit ersetzte er diesen durch einen eigenartig geschnitzten Zahn, den er im Handfertigungsunterrichtanfertigte und des Öfteren im Konferenzzimmer vor allen Lehrern anpasste und einsetzte.

Das riesengroße Dachzimmer, das ihm zur Wohnung diente, war spartanisch und originell eingerichtet. Dem Besucher sprangen 3 Foxinetten (Vorläufer des Mopeds) in die Augen, die vor seinem Eisenbett aufgestellt waren.

Als ich ihn beim 1. Besuch entgeistert fragte, wie er so in sein Bett komme, sprang er mit einer Hechtrolle über die drei Fahrzeuge in seine Liegestätte. Auf die Frage, warum drei Foxinetten, meinte er lakonisch: „Eines muss immer fahrbereit sein.“ In einer Ecke stapelte er das von den Schülern gesammelte Papier zu einem riesigen Haufen. Dieses Papier wurde in der Zeit der ärgsten Winterkälte in einem zu einem Ofen umfunktionierten Blechfass verheizte, das wohl kaum den Feuerbestimmungen entsprach, ihn aber sicher vor dem Erfrieren schützte. Anderes Heizmaterial zu kaufen, war wohl gegen sein Lebensprinzip.

So war er, der Laube: Immer heiter, immer hilfsbereit und persönlich von einer gesteigerten, kaum glaubhaften Genügsamkeit. Nun hat ein Hauptschullehrer in seinem Alter sicher kein schlechtes Einkommen. Also fragten wir uns lange Zeit, was er mit seinem Geld machte. Nach längeren Beobachtungen erfuhren wir, dass er an jedem 1. des Monats nach Erhalt seines Gehalts mit einer Foxinette zu seiner Familie fuhr, deren Vorhandensein und Verhältnisse für uns jedoch vollkommen im Dunkeln blieben. Dort lieferte die Hälfte seines Gehalts ab.

Die andere Hälfte wanderte größtenteils in die damals in Graz noch zahlreichen Kinos. Ab 14:30 Uhr war Laube verschwunden und für niemanden mehr zu sprechen. Von der ersten Nachmittagsvorstellung bis zur Nachtvorstellung raste er von einem Kino zum anderen. In jedem war er Stammkunde. War zum Beispiel die erste Reihe in dem der Schule nächstgelegenen Westendkino ausverkauft, so war er der einzige Besucher, der die Erlaubnis hatte im Mittelgang auf einer Zeitung sitzend der Vorstellung beizuwohnen. Vom Ring-Tonkino erhielt er zum Jahreswechsel eine Urkunde mit der Widmung: „Unserem treusten Kunden.“ Einen Film, der in jenen Tagen besondere Aufmerksamkeit erregte, besuchte er 11 Mal. Diese Marotte eines gebildeten und an sich hochstehenden Mannes zu erklären, dürfte auch einem gefinkelten Tiefenpsychologen nicht ganz leicht fallen. Wir seine Kollegen, aber vor allem seine Schüler, hatten ihn gern und schätzten ihn samt seiner Schrullen, zumal er jeden Schultag pünktlich, wenn auch ungepflegt und unrasiert, aber vergnügt und schwungvoll zum dienst erschien.

 

Laube geht in Pension

 

Dass die vorgesetzte Dienstbehörde natürlich trachtete einen Lehrer mit derartigen Eigenschaften zu einem ehemöglichen Zeitpunkt in Pension zu schicken, erschien wohl verständlich. Mit Vollendung des 60. Lebensjahres erhielt er das befürchtete, aber erwartete Dekret, mit dem Dank der Behörde. Er nahm es anscheinend heiter und gelassen zur Kenntnis.

Die Schule aber, an der er so lange gewirkt hatte, bereitete an dem Tag, an dem er zum letzten Mal erscheinen sollte, eine würdige Abschiedsfeier vor. Lehrer und Schüler waren im Turnsaal angetreten und warteten auf ihn, der nun vom Leiter der Schule offiziell verabschiedet werden sollte.

Pünktlich hörten wir seinen Schritt. Er zog nämlich einer Kriegsverletzung, die nicht behandeln lassen wollte, einen Fuß etwas nach. Ein Schüler öffnete die Tür und herein trat….. ein Herr, was sage ich….. ein „Sir“ oder noch besser ein „Lord“. Gepflegt, glatt rasiert in einem eleganten dunkelbraunen Maßanzug, die Ordensschnalle aus dem 1. Weltkrieg angelegt, trat er vor uns hin. Wir trauten unseren Augen nicht. Gelassen und kultiviert erwiderte er die Abschiedsrede des Direktors, verbeugte und verabschiedete sich und ward nicht mehr gesehen. Betroffen blieben wir zurück und konnten uns lange nicht erholen von dieser Überraschung.

Es vergingen einige Tage, von Laube war nichts zu sehen und zu hören. Er fehlte uns sehr. Wir nahmen zwar nicht an, dass er verhungert wäre, doch erschien uns wahrscheinlich, dass ihm die Umstellung seiner Ernährung vor einige Probleme stellen würde. Und so wollten wir auf diesem Sektor helfend eingreifen:

Wir sparten einige Flaschen Schulmilch, kaufte ein paar Brote, einige Meter Kabernossiwurst und einige Käselaibchen, schlichteten alles gefällig in einen Korb und legten eine Grußkarte bei. Zwei Schüler trugen den Korb in seine Dachkammer. Die zurück gekehrten Schüler meldeten, dass Laube kurz danke gesagt habe. Irgendwie sind wir über seine Freude etwas enttäuscht, weil wir hatten uns eine andere, etwas temperamentvollere Reaktion erwartet.

Etwa 14 Tage später erhielten wir eine von Laube eigenhändig, künstlerisch gestaltete, formvollendete Einladung:

„August Laube von Laubenfeld, gestattet sich Euer Wohlgeboren zu einem kleinen Imbiss ins Gasthaus Roschitz für Dienstag 19:00 Uhr einzuladen.“

Zu einer derartigen Einladung gehört ein dunkler Anzug und so zogen wir Lehrer auch in das Vorstadtgasthaus ein. Wer aber steht an der Tür des Extrazimmers? Unser Lord, der uns mit den Worten empfängt: „Ich werde euch geben, mir eine Jause zu schicken!“ Der kleine Imbiss war für Eggenberger Verhältnisse ein fürstliches Abendessen. Es wurde ein rauschendes Fest daraus.

In der nächsten Zeit fiel uns auf, dass täglich nach Schulschluss sich ganze Schülergruppen in Richtung Laubes Wohnung begaben. Neugierig, wie ich war, wollte ich die Ursache dieser Anhänglichkeit erkunden, kletterte auch die Stiege hinauf und was sah ich da: Da saß ein Dutzend Schüler, wie vor der Ordination eines Arztes vor der Tür und wartete auf Einlass. Ich drängte mich vor, trat ein und sah wie Laube gerade im altgewohnten grauen Mantel schwungvoll die Zeichnung eines Schülers für Allerheiligen fertig stellte, beim nächsten eine Englischarbeit korrigierte und dann half ein schwieriges Rechenbeispiel zu lösen. Und so ging es weiter. Laube hatte eine blühende Gratisnachhilfe im Telegrammstil aufgezogen…  bis 14:30 Uhr. Dann begann die Nachmittagsvorstellung im Westendkino. Aber nichts dauert ewig. Eines Tages ist er fort gegangen. Mitunter traf ihn der eine und der andere im Dunstkreis der Kinos. Im Allgemeinen ist er aber aus unserem Gesichtskreis verschwunden.

Jahre sind vergangen. Auch ich habe meine Tätigkeiten an einen anderen Dinstort verlegt, aber den alten Laube und seine Schrullen, habe ich nicht vergessen. Und so wie ich jetzt seine Geschichten niederschreibe, erzähle ich die eine oder andere Episode meinen Schülern. Im Nachklang an eine dieser Erzählungen, berichtete mir ein Schüler, er habe in den Murauen in einer kleinen Hütte einen Mann angetroffen, der nach der gegebenen Beschreibung der Laube sein könnte.

Mit meiner Schürfrakete kurvte ich durch den damals noch romantischen Wald. Tatsächlich erblickte ich eine Hütte, deren Holztür mit einem Menschenpaar – gekonnt erotisch umschlungen verziert war. Und auf einem Holzbrett vor der Hütte, lag unser alter Held halbnackt in der Märzensonne. Ohne jede Verwunderung oder Frage, grüßte er mich in seiner schwungvollen Art, führte mich zu seinem Ziehbrunnen und forderte mich auf an der Schnur zu ziehen, die da heraushing. Und siehe da, nach etwa 5-6m hatte ich eine Weinflasche heraus gezogen. Wir haben sie in fröhlicher Erinnerung geleert. Er konnte sich über alles in der Welt lustig machen.

Noch einmal ist er mir zu später Stunde begegnet, extrem langsam gehend vor einem Kino und nicht gerade im vornehmsten Viertel der Stadt. Ich rief ihm zu: „August, was ist mit dir los? Warum gehst du so langsam?“ Schwungvoll lüftet er seinen Schlapphut und erwidert: „Seit Laube in Pension ist, geht er nur mehr mit halber Geschwindigkeit.“ Er war wohl ein Schalk oder Narr, aber auch ein Weiser in einer Person.

 

© Dr. Konrad Weißenböck

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